Marjan
Iran
Mein Name ist Marjan und ich bin in Teheran im Iran aufgewachsen. Ich hatte eine sehr glückliche und behütete Kindheit in einem freien Land, die 1979 mit der islamischen Revolution im Iran sehr plötzlich endete. Damals war ich 12 Jahre alt.
Ausreise zu meinem Vater
Mein Vater hatte bereits ein Jahr zuvor das Land verlassen müssen, da er für den Geheimdienst des Schahs gearbeitet hatte und durch die islamische Revolution in akute Lebensgefahr geraten war. Meine Mutter erhielt zunächst keine Ausreisegenehmigung für sich und ihre Kinder, da ihr Mann der Ausreise nicht zustimmen konnte. Dies war aber eine Grundvoraussetzung für die Genehmigung. Sie musste ihn also als vermisst melden und ihre Trennung bekannt geben, um mit uns ausreisen zu dürfen.
Als hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, bin ich am Tag vor unserer Abreise von zu Hause ausgerissen und habe mich bei Freundinnen versteckt. Ich wollte Teheran nicht verlassen und befürchtete Schlimmes. Und so kam es auch. Ich wurde aus einer Kindheit voller Glück und Geborgenheit in ein fremdes Land versetzt, ohne Sprachkenntnisse, ohne unsere Familie und ohne soziale Kontakte.
Die ersten Jahre in Deutschland
Unser Ziel war eigentlich die USA, aber als wir nach fünf Jahren in Deutschland die Erlaubnis bekamen, dorthin zu gehen, wollten wir Kinder nicht noch einmal von vorne anfangen und die Familie beschloss, in Deutschland zu bleiben.
In den ersten Jahren lebten wir zunächst in sehr spärlich möblierten Wohnungen und legten uns keine großen Güter zu, da wir immer die Hoffnung und die Zuversicht hatten, bald wieder zurückkehren zu können. Das Regime, davon waren wir überzeugt, würde sich nicht lange halten können. Die Erkenntnis, dass wir hier bleiben würden, kam bei uns allen erst nach und nach.
An unserem zweiten Tag in Deutschland schickte uns mein Vater mit der Ankündigung nach draußen, dass er uns am Nachmittag erst wieder in die Wohnung lassen würde, wenn wir Freunde mitbrächten. So wollte er uns helfen, schnell soziale Kontakte zu knüpfen und Freunde zu finden.
Zwei Wochen nach unserer Ankunft begann für meinen Bruder und mich die Schule mit Deutschunterricht in der Regelschule am Vormittag und in einer Privatschule am Nachmittag. Das war der Beginn einer langen und manchmal steinigen Schullaufbahn in Deutschland, die wir beide mit dem Abitur und einem Medizinstudium abgeschlossen haben. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Rassismus und Diskriminierung waren an der Tagesordnung, mangelnde Unterstützung durch Lehrkräfte kam hinzu und erst nach mehreren Schulwechseln fand ich meinen Platz und konnte mich auf die Schule konzentrieren.
Hohe Erwartungen und viel Leistung
Meine Eltern haben immer viel von uns erwartet, was schulische Leistungen, Integration und Sprache angeht, aber sie haben auch selbst sehr hart für unsere Familie gearbeitet. Ihr wichtigstes Ziel war es, dass es uns Kindern gut geht. Sie haben alle möglichen Jobs angenommen, manchmal auch mehrere gleichzeitig, damit wir hier überleben konnten. Mit 14 Jahren fing ich an, Zeitungen auszutragen, um zum Familieneinkommen beizutragen. In dieser ersten Zeit haben wir alle viel geweint, wir hatten Heimweh, vermissten unsere Familie und unser Heimatland, alles war fremd und ungewohnt.
Nun, nach 15 Jahren Arbeit im Krankenhaus, bin ich niedergelassene Ärztin und werde von meinen Patientinnen sehr geschätzt. Um so weit zu kommen, musste ich mich immer doppelt beweisen – als Frau und als Ausländerin.
Ein Land ohne Rechte
Als ich nach 21 Jahren zum ersten Mal wieder in den Iran reiste, war viel Angst dabei. Würde ich unbeschadet durchs Land reisen können oder würde mich die Vergangenheit meines Vaters doch noch einholen? Zum Glück ging alles gut und ich konnte ein Jahr später zur Hochzeit meines Bruders erneut hinfahren. Seitdem habe ich das Land nicht mehr betreten und habe es, solange das jetzige Regime an der Macht ist, nicht vor. Beide Reisen waren für mich sehr deprimierend. Die Armut, die Traurigkeit und die Angst, die dort vorherrschen, haben mich entsetzt und sehr traurig gemacht. Ich habe das Land meiner Kindheit nicht mehr wiedererkannt. Ich werde erst wieder dorthin reisen, wenn die Frauen dort frei sind und kein Kopftuch mehr tragen müssen.
Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, dass im Iran seit 44 Jahren ein Regime an der Macht ist, das die Menschen zwingt, vor Flucht vor Folter, Gewalt, Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen zu fliehen. Die Gefängnisse sind voll mit Menschen, die es gewagt haben, ihre Meinung zu sagen und für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten und die Welt schaut tatenlos zu.
Ich wünsche mir, dass alle Menschen überall auf der Welt in Frieden und Freiheit leben können.
Heimat
Während meiner ersten Schwangerschaft zog ich in die Nähe meiner Mutter, die damals in Maintal wohnte. So kam ich 1994 nach Maintal und lebe seither hier.
Ich habe mir die positiven Seiten beider Länder zu Eigen gemacht. An Deutschland schätze ich die Pünktlichkeit, die Arbeitsmoral und die Liebe zu Ordnung und Struktur. Deutschland ist ein Land, in dem man viel Hilfe bekommt und es weit bringen kann, wenn man sich dafür einsetzt.
Ebenso schätze ich die Herzlichkeit, die Gastfreundschaft, die Hilfsbereitschaft, den Ehrgeiz und die Zielstrebigkeit im Iran.
Mit unserer Entscheidung nicht in die USA weiter zu reisen, sondern in Deutschland zu bleiben, kam das erste Mal ein Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland auf.
Nach 44 Jahren ist Deutschland natürlich mein erstes Heimatland.
Mit meiner Familie lebe ich sowohl die deutsche als auch die persische Tradition. Wir feiern sowohl Weihnachten und Ostern als auch Nowruz und Yalda. Es ist mir wichtig, dass meine Kinder beides kennen, denn sie haben ihre Wurzeln in beiden Ländern.