Sevgi
Türkei
Mein Name ist Sevgi. Das bedeutet Liebe und so fühle ich mich auch. Ich wuchs in der Türkei sehr glücklich und geborgen auf. Meine Großeltern waren aus Abchasien in die Türkei eingewandert und wir lebten in einem abchasischen Dorf mit vielen Nachbarn. Mit den meisten Nachbarn waren wir verwandt, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen wohnten alle ganz in der Nähe. Aber am wichtigsten waren für mich meine Großeltern. Noch heute denke ich an die Freiheiten, die wir Kinder damals hatten. Wir lernten alle reiten und ich liebte es, im nahe gelegenen Fluss zu schwimmen. Wenn ich meinen Lieblingsfilm Sissi anschaue, muss ich immer an unsere Ausritte denken.
Hochzeit und Deutschland
Auf der Hochzeit eines Cousins traf ich einen jungen Mann, den ich vom Sehen kannte. Wir trafen uns ein paar Mal und beschlossen dann, zu heiraten. Er arbeitete seit 2 Jahren in Deutschland und ich zog 1972 zu ihm nach Frankfurt. Ich hatte die Schule nach der 5. Klasse verlassen und von da an auf dem Feld meiner Familie mitgearbeitet. Eigentlich wäre ich gerne weiter zur Schule gegangen, aber mein Onkel wollte mich den weiten Weg nicht alleine gehen lassen und er selbst hatte keine Zeit, mich immer zu bringen und abzuholen, denn die nächste weiterführende Schule war sehr weit weg.
In Deutschland habe ich mich schnell eingelebt. Ich bin ein offener Mensch, unterhalte mich gerne mit anderen und höre zu. So habe ich schnell die ersten Worte Deutsch gelernt. Ich habe zwar nie einen Deutschkurs besucht, aber Verständigungsschwierigkeiten hatte ich eigentlich nie.
Maintal und Deutschland
Bald kam unser erstes Kind zur Welt und in den folgenden Jahren wurden es insgesamt fünf. Zur Unterstützung kamen meine Schwester und meine Mutter zu uns, damit ich nach dem Mutterschutz wieder arbeiten gehen konnte. Ich fand recht schnell Arbeit als Küchenhilfe in einer Schulküche in Frankfurt, wechselte aber bald zur Firma Samson in die Montage von Messuhren. In den folgenden Jahren arbeitete ich bei verschiedenen Firmen im Umkreis.
Mein Mann arbeitete ebenfalls bei verschiedenen Firmen in Frankfurt und später in Maintal, zunächst als Zimmermann und später als Polier. Er war unter anderem am Bau des ersten Hochhauses in Frankfurt für die Bank für Gemeinwirtschaft beteiligt. Mit unserem zweiten Kind wurde unsere Wohnung in Frankfurt zu klein und wir bewarben uns bei der Wohnungsbaugesellschaft um eine Wohnung. So kamen wir 1975 nach Maintal-Hochstadt, wo ich heute noch wohne, inzwischen in einem eigenen Haus.
Eine Zeit lang hatten wir ein eigenes Lebensmittelgeschäft in Nordrhein-Westfalen und später in Hochstadt.
Ich hatte immer nette Chefs, die mich unterstützt und gefördert haben. Noch heute habe ich guten Kontakt zu ehemaligen Kollegen und freue mich immer, wenn wir uns treffen.
Freiheit für Kinder
Meine Kinder sind alle in Maintal aufgewachsen und zur Schule gegangen. An Schwierigkeiten kann ich mich eigentlich nicht erinnern und es war mir immer wichtig, dass sie in der Schule mitkamen. Ich habe auch nie einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gemacht. Alle sind mir gleich viel wert und sollen das machen, was ihnen Spaß macht und liegt, egal woher sie kommen, welcher Religion sie angehören oder ob sie Jungen oder Mädchen sind. Ich hatte als Kind alle Freiheiten, bin auf Bäume geklettert, habe Fußball gespielt, bin geritten und habe mich ausgetobt. Nur in stehende Gewässer habe ich mich nie getraut. Ich war schon immer sehr selbstständig und bin meinen eigenen Weg gegangen. Das wollte und will ich auch meinen Kindern und Enkelkindern ermöglichen.
Heute reise ich viel und bin auch oft in der Türkei. Dort habe ich eine Haselnussplantage um die ich mich kümmern muss. Man könnte sagen, ich fliege so oft hin und her, dass mich das Flugpersonal schon persönlich kennt.
Wenn ich sehe, wie es den Kindern auf der Welt geht, blutet mir das Herz. Das sollte es nicht geben!
Deutschland ist meine Heimat
Ich liebe Deutschland mehr, als die Türkei. Schließlich lebe ich schon so lange hier und ich gehöre hier her. Meine Kinder haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft, aber ich konnte mich nie dazu durchringen, sie auch zu beantragen. Ich hatte einfach nie Lust auf den Papierkram.
Heimweh hatte ich nur, solange ich noch Verwandte in der Türkei hatte. Seitdem niemand mehr dort lebt, vermisse ich nichts mehr. Ich habe mich auch nie mit dem Gedanken getragen, für immer in die Türkei zurück zu kehren, auch wenn sich die Gesellschaft hier sehr verändert hat. Die jungen Leute haben heute nie Zeit, sie kommen immer nur kurz vorbei und müssen gleich wieder weg. Wenn in der Türkei jemand meinen Nachbarn besuchen will und der ist nicht da, dann lade ich ihn zu mir ein und bewirte ihn, bis der Nachbar nach Hause kommt. Das gibt es hier nicht. In der Türkei ist das Leben ruhiger und man hat mehr Zeit füreinander.
Mein absoluter Lieblingsort ist mein Garten in Hochstadt. Den bewirtschafte ich seit mehr als 40 Jahren, dort baue ich Gemüse an und verbringe im Sommer fast die ganze Zeit dort.
Sprache hat mir schon immer Spaß gemacht und ich kann mich in vielen Sprachen unterhalten, auch wenn ich sie nie richtig gelernt habe. Kommunikation ist so wichtig, wir brauchen alle Kontakte, egal wo auf der Welt. Ich bin mit Türkisch und Abchasisch aufgewachsen, weil meine Eltern und Großeltern nur Abchasisch sprachen.
Natürlich habe ich hier auch Hass gegenüber Ausländern erlebt, aber ich habe mich immer dagegen gewehrt und mir das nicht gefallen lassen. Ich habe viele deutsche und auch griechische Freunde. Es ist egal, woher man herkommt, Respekt verdienen alle und sollten ihn auch bekommen.