Francesca
Italien
Mein Name ist Francesca und meine Geschichte beginnt auf der im Frühling blühenden Insel Sizilien, wo ich das Licht der Welt erblickte. Die ersten sechs Jahre meines Lebens verbrachte ich dort mit meiner Mutter während mein Vater bereits seit drei Jahren als "Gastarbeiter" in Deutschland lebte.
Ein kalter Winter und das Ankommen in Deutschland
Die Kälte des Winters 1968 traf uns hart als meine Mutter und ich in einem kleinen Zimmer um Wärme rangen während wir uns mit nur wenig Kohle versuchten zu wärmen. In dieser harten Zeit fand uns mein Onkel bewusstlos, was meinen Vater dazu veranlasste, uns schnellstmöglich nach Deutschland zu holen. In Offenbach, in einer engen und bescheidenen Wohnung, begann ein neues Kapitel meines Lebens. Hier kamen meine beiden jüngeren Geschwister zur Welt und ich fand mich in einer völlig neuen Rolle wieder – nicht mehr das einzige Kind, sondern plötzlich die Älteste, mit mehr Verantwortung und Aufgaben in der Familie.
Herausforderungen und Trost
Es war eine Challenge mich an das Leben in einem anderen Land zu gewöhnen und gleichzeitig meine Geschwister zu unterstützen. Die Schule in Offenbach war eine weitere Anpassung an meine neue Realität. In dem Glauben daran, dass wir bald nach Italien zurückkehren würden, besuchte ich eine italienische Schule wo alle Fächer in meiner Muttersprache unterrichtet wurden. Deutsch lernten wir nur als Fremdsprache, was sich als Hindernis herausstellte, als ich später in Deutschland bleiben wollte.
Bei all den Schwierigkeiten fand ich Unterstützung in der Italienischen Kirchengemeinde in Offenbach. Hier fühlte ich mich verstanden und unterstützt, während ich langsam meine Identität zwischen zwei Kulturen suchte.
Auf der Suche nach meiner Bestimmung
Mein Lebensweg führte mich weiter und mein Traum, Grundschullehrerin zu werden, führte mich nach Norditalien. Doch selbst dort fühlte ich mich fremd und unvollständig. Mit 19 Jahren kehrte ich nach Deutschland zurück, wo ich einfachen Arbeiten nachging, aber meine wahre Berufung noch nicht gefunden hatte.
Es war eine ständige Herausforderung, die deutsche Sprache zu lernen und mich in die Gesellschaft zu integrieren. Aber durch Rückschläge und Enttäuschungen fand ich schließlich meinen Weg. Eine Ausbildung zur Industriekauffrau bei einer Bank eröffnete mir neue berufliche Perspektiven, doch das Leben hielt weitere Herausforderungen für mich bereit.
Immer wieder neu anfangen
Der Verlust meines Mannes zwang mich, erneut mein Leben neu zu organisieren. In dieser schwierigen Zeit fand ich Trost und Hoffnung in meinem Glauben und der Unterstützung der Kirchengemeinde. Die Liebe führte mich wieder zu einem neuen Partner und wir brachten in Maintal unsere Tochter zur Welt.
Während der Elternzeit bin ich ca. zwei Jahren zu Hause geblieben und habe die Rolle als Mutter eines Neugeborenen sehr genossen.
Nach 19 Jahren Tätigkeit als Einkäuferin bei einer Bank stand ich plötzlich durch Umstrukturierungen arbeitslos da und konnte keine qualifizierte Stelle finden. In dieser Phase begab ich mich erneut auf die Suche nach meiner beruflichen Bestimmung, nach etwas, das mir wahrhaftige Freude bereiten würde. Ich investierte in Weiterbildungen im Bereich Coaching, NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren), Kommunikationstechniken, ökumenischer Seelsorge und entwickelte mich weiter.
Ehrenamtliches Engagement und berufliches Weiterkommen
Als 2012 die Zahl der Geflüchteten stark zunahm, ließ ich mich zur Integrationslotsin im Main-Kinzig-Kreis ausbilden und baute gemeinsam mit anderen Engagierten den Arbeitskreis Asyl in Maintal auf. Diese Arbeit hat mich sehr erfüllt und ich freute mich sehr, als ich eine Anstellung bei einem Träger der Flüchtlingshilfe in Frankfurt fand. Endlich hatte ich eine sinnvolle Arbeit gefunden, die mir wirklich Freude bereitete. Ohne Studium der Sozialen Arbeit waren meine Aufstiegschancen und damit auch die Bezahlung allerdings begrenzt.
Doch meine Entschlossenheit und mein Glaube an eine bessere Zukunft ließen mich nicht aufgeben. Die Arbeit mit Geflüchteten gab meinem Leben einen neuen Sinn und motivierte mich dazu, ein Abendstudium im Bereich Sozialer Arbeit zu beginnen. Ich behielt mein Ziel im Blick, besonders während meiner Krebserkrankung und absolvierte erfolgreich mein Studium.
Heute, nach all den Höhen und Tiefen, fühle ich mich dankbar für mein Leben in Deutschland. Heute arbeite ich immer noch in der Flüchtlingshilfe und fühle mich darin erfüllt.
Heimat
Wo ich mich zu Hause fühle? Das ist eine schwere Frage und nicht einfach zu beantworten. Durch meine Arbeit und das stetige Erlernen der deutschen Sprache habe ich nach und nach Zugang zur deutschen Gemeinschaft gefunden und wertvolle Freundschaften geschlossen. Ich erkannte, dass man in Deutschland aktiv sein und auf andere zugehen muss, um wahre Verbindungen aufzubauen. In Italien geht das viel schneller. Maintal hat vielleicht nicht das kulturelle Angebot wie Frankfurt aber hier kann man sich vielfältig engagieren, es gibt viele aktive Menschen und die Stadt unterstützt Ehrenamtliche in vielen Bereichen. Ein herausragendes Beispiel dafür ist der Frauenhain, der zeigt, wie wichtig und geschätzt ehrenamtliches Engagement hier ist.