Carol
England
Mein Name ist Carol und ich bin im Südosten Englands geboren und aufgewachsen. Während zweier Schüleraustausche nach Hamburg und nach Wien habe ich Deutsch als Sprache lieben gelernt. Leider habe ich in der Schule Deutsch nur 5 Jahre gelernt. Daher hatte ich als junge Frau den Wunsch, meine Kenntnisse zu verbessern. Mein damaliger Arbeitgeber gab mir die Möglichkeit, an den Firmensitz in Deutschland zu wechseln und ich zog 1970 nach Wetzlar.
Dieser Wechsel war aufregend und spannend, aber auch nicht immer einfach. Eine Aufforderung der Ausländerbehörde beispielsweise, mich innerhalb von 4 Wochen zu melden, verstand ich mit meinen einfachen Deutschkenntnissen nicht und sie brachte mir damit gleich zu Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland die Androhung von Inhaftierung und Ausweisung ein.
Eine deutsche Kleinstadt in den 1970er Jahren
Wetzlar ist eine schöne Stadt, aber als junge Frau hatte das größere und modernere Frankfurt eine hohe Anziehungskraft auf mich und auch die Firma entsprach nicht dem modernen Standard, den ich aus England gewohnt war. Mit Minirock und langem Mantel eckte ich oft an, erntete ablehnende Blicke und Kommentare. Überhaupt kam mir das Wetzlar der 70er Jahre eher provinziell vor. Es hat mich überrascht, dass so viel auf Details geachtet wurde. Zum Beispiel wurde die Wäsche auf den Leinen im Innenhof penibel nach Hemden, Unterhemden etc. getrennt aufgehängt. Ein weiteres Beispiel ereignete sich im Krankenhaus: eine andere Patientin hat mich gerügt, weil ich die Streichwurst nicht gleichmäßig bis zum Rand der Brotscheibe gestrichen hatte. Bald zog ich nach Frankfurt, die als Stadt mehr zu bieten hatte.
Auch die Wohnungssuche in Frankfurt war schwierig und von viel Frustration begleitet. Sätze wie „Wir nehmen keine Ausländer!“ bekam ich öfter zu hören. An die Art des Arbeitens in Deutschland musste ich mich auch erst gewöhnen. Es kam mir sehr ernst und etwas verbissen vor, Zeit für einen tea break und einen kurzen Plausch gab es nicht und das wurde auch nicht gern gesehen. Auch der frühe Arbeitsbeginn, manchmal um 7.00 Uhr, machte mir zu schaffen.
Nach verschiedenen Anstellungen fand ich eine Stelle als Übersetzerin bei einer Export-Import Bank. Für mich war es normal, häufig die Stelle zu wechseln, bei den deutschen Arbeitgebern rief das eher Verwunderung hervor. Auch dort hatte ich anfangs zu kämpfen: Meine Übersetzungen ins Englische wurden kritisiert, wenn ich Übersetzungsfehler ansprach, kam das nicht gut an und interkulturelle Kompetenzen waren in der Firma quasi nicht vorhanden. Das änderte sich jedoch im Lauf der Zeit.
Der erste Karneval in Deutschland war für mich überraschend und aufregend zugleich. Ich besuchte alle Umzüge in der Region, z.B. in Frankfurt, Heddernheim, Wiesbaden etc. Das war schön, aber im Büro ging es hoch her – das Radio wurde angemacht, Sekt wurde ausgeschenkt und eine Kollegin setzte sich auf den Schoß eines Kollegen, mit dem sie nicht verheiratet war. Das war in den 70er Jahren trotz „Swinging Sixties in London“ noch sehr verpönt.
Die Liebe zur deutschen Sprache brachte mich nach Deutschland – die Liebe zu meinem jetzigen Mann hielt mich in Deutschland und führte uns 1983 nach Maintal, wo wir uns in Dörnigheim ein Haus kauften, in dem wir noch heute leben.
Für immer Deutschland
Ein großer Einschnitt war für mich der Brexit. Der Tag des Referendums war für mich ein Tag der Trauer und noch heute bedauere ich den Austritt Englands aus der EU. Obwohl für mich längst klar war, dass ich in Deutschland bleiben wollte, bestand nie die Notwendigkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Mit der Entscheidung Englands, die EU zu verlassen, habe ich sie sofort beantragt und sehr schnell und unkompliziert erhalten.
Deutschland Ost und West
Gleichermaßen fasziniert und bedrückt hat mich die Mauer in Berlin. Ostberlin war schon an der Grenze beängstigend. Man musste in langen Schlangen anstehen, um seinen Pass kontrollieren zu lassen, Westzeitungen wurden einem abgenommen und die Stimmung war bedrückend. Die Führung von Intourist bestand aus Statistiken, z.B. wie viele Kindergärten gebaut wurden und der Besichtigung eines sowjetischen Denkmals. Auch hat es mich sehr verwundert, dass in meiner Firma eine Abteilung für „innerdeutschen Handel“ als „Auslandsabteilung“ aufgebaut wurde.
Deutsch - Englische Unterschiede
Was mich an Deutschland immer wieder begeistert ist das Gesundheitssystem. Auch wenn es hier oft kritisiert wird – im Vergleich zum englischen System ist es sehr gut organisiert und man wird gut versorgt.
Mit der Deutschen Sprache habe ich allerdings bis heute zu kämpfen, vor allem die Artikel, die zusammengesetzten Verben und die Vorsilben machen mir zu schaffen. Und auch die Ansprache mit Du oder Sie ist mir bis heute ein Rätsel. Im Englischen ist das so viel einfacher.
Meine Englischkenntnisse nutzte und nutze ich für ehrenamtliches Engagement, z.B. im Sprachcafé Englisch der Maintal aktiv - Freiwilligenagentur der Stadt Maintal und lange Zeit auch bei Führungen, die ich im Puppenmuseum in Hanau angeboten habe. Auch in der Turngemeinde Dörnigheim bin ich aktiv.
Ein Pluspunkt von Maintal und Umgebung einschließlich Frankfurt sind die vielen Veranstaltungen, die man besuchen kann, z.B. Gartenfeste, Kinovorführungen, Ausstellungen etc.
Und noch ein Unterschied: In England gibt bzw. gab es keine Überweisungsträger für Banken. Wer etwas überweisen will, geht zur Bank und zahlt das Geld bar ein. Kein Wunder, dass sich Online-Banking in England schnell verbreitet hat.
Was ich vermisse: öfter Englisch zu sprechen und den Geschmack von echtem englischen Tee.